Der große Brand 1872

Am 30. 04.1872 brach des Nachmittags ¼ nach sechs Uhr in einer Stallung Feuer aus. Kaum ist der Ruf Feuer erschollen, so standen auch schon bis 6 Gebäude in hellen Flammen. Ein Nordostwind trieb das Feuer mit Windesschnelle über den mittleren Teil des Dorfes nach Südwest und in etwa vier Stunden waren über 300 Gebäude (Wohnhäuser, Scheunen, Ställe) teils noch in Flammen, teils waren sie schon niedergebrannt. Großes Elend ist über den sonst wohl stehenden Flecken gekommen. Viele Bewohner waren auf dem Felde und sahen ihre Gebäude, beim nach Hause eilen auf den Ruf der Sturmglocken, schon in hellen Flammen.

An Rettung der Habe ist bei vielen nicht zu denken. Menschenleben sind, Gottlob! Nicht zu beklagen. Auch alles Vieh, mit Ausnahme von Hühnern und einigen Schweinen ist gerettet. Leider fehlte es zum Löschen auch noch an Wasser, so dass viele Spritzen der herbei geeilten Nachbarsorte untätig sein mussten. Fast die Hälfte der Einwohner ist obdachlos geworden. Alle noch übrigen Häuser sind dicht gefüllt mit Menschen. Die guten Eigenschaften entwickeln sich beim Unglück des Nächsten. Hochmut schwindet, christliche Nächstenliebe verdrängt Hass und Feindschaft. Milde gaben fließen reichlich. Der Bedarf ist aber auch ein ungeheurer. Leute die vorher stets zu geben gewohnt waren, waren genötigt, milde Gaben anzunehmen, zu deren in Empfangnahme und Verteilung sogleich ein Hilfskomitee gebildet wurde. Die umliegenden Orte und Städte wetteiferten im Geben von Bedürfnissen aller Art.

Der April ist bezüglich von Brandunglücken für Niederbrechen ein verhängnisvoller Monat, denn am 23. April 1632 soll ebenfalls eine bedeutende Feuersbrunst denselben Teil des Fleckens in Asche gelegt haben und heute noch wird am 23. April jedes Jahr ein so genanntes „Brand Amt“ gehalten.

Der Schaden beim Brande im Jahr 1872 ist für die meisten umso größer, da sie außer den Gebäuden sonst nichts versichert hatten und auch diese nicht in der den jetzigen Baupreisen entsprechenden Höhe. Hätte die Luft während des Brandes einen Umschlag von Westen her gemacht, so wäre auch der nordöstliche Teil  Niederbrechens und somit der ganze Flecken bis auf wenige Häuser abgebrannt. Häuser, Scheunen u. Stallungen alle sehr eng, fest aneinandergebaut und so konnte es sich immerwährend ausdehnen ohne dass ihm Einhalt geboten werden konnte. Futter, Stroh, Frucht, Weißzeug, Betten Vieles ist verbrannt. Wer in der Nacht unseren Flecken und die Umlagerung der Geflüchteten mit dem Geretteten gesehen, der beschreibt die ganze Lage als ein großes Lager mit einem großen Wachtfeuer in der Mitte.

- Gott wolle uns und alle Orte vor Brandunglück bewahren -"

© Schulchronik Niederbrechen 1819-1938, S. 60/61

Der große Brand 1872

Am 30.04.1872, in der Walpurgisnacht, wurde unser Flecken von einem Brandunglück heimgesucht, wie man es sich schrecklicher nicht denken kann und wie man es in unserem Nassauer Lande von einer solchen Ausdehnung seit hundert Jahren nicht erlebt hat. Um ½ 6 Uhr nachmittags brach das Feuer aus in der Hofreite des Johann Höhler in der Kirchgasse. In zwei Stunden fielen dem rasenden Element mehr als 80 Häuser und ebenso viele Scheunen und Ställe zum Opfer. Es herrschte tagelang ein heftiger Nordoststurm. Deshalb konnte das Feuer in so  unglaublich kurzer Zeit so viele Gebäude in Schutt und Asche legen. Gefüllte Scheunen wären trotz der reichen Nahrung nicht so schnell niedergebrannt wie diese ausgetrockneten und hohlen Räume. Da die meisten Leute gerade mit der Aussaat der Gerste beschäftigt waren, fehlte es an der ersten Hilfe. Leute, die ihren Mitmenschen rettend helfen wollten, wurden heim geholt mit der angstvollen Rufe: Kommt schnell heim, bei uns brennt es auch schon." Denn das Feuer flog oft über zwei, drei Straßen fort und suchte sich dort neue Opfer. Wachsend ohne Widerstand wälzte der ungeheure Brand sich fort. Balken krachten, Pfosten stürzten, Fenster klirrten. Und riesengroß, hoffnungslos wuchs die Flamme zu des Himmels Höhen. So hoch stiegen die Feuergarben und so groß ist das Flammenmeer, daß man es von weither sehen konnte, von der Montabaurer Höhe und sogar vom Feldberg aus: Von Mainz und von Wiesbaden aus gewahrte man den geröteten Himmel über der Feuerstätte. Die Isselen flogen Stunden weit und deckten die Felder. Auf der Haad (Heide) konnte man noch nach Tagen die Schrift auf dem fortgeflogenen, verkohlten Papier lesen. Wegen der rasenden Wut des Feuers und bei der großen Ausdehnung desselben konnte kaum das Notwendigste gerettet werden. Überhaupt ist die Rettung fast unmöglich, Die brennende Frucht rieselte knisternd und prasselnd die Speichertreppe herab. Auf den  Straßen ist es lebensgefährlich. Denn die glühenden Schiefersteine flogen knatternd und explodierend wie Sprengstücke in der Luft umher. Es fehlte nicht viel, so wäre auch der Rest unseres altertümlichen Fleckens vom Erdboden verschwunden. Schon griffen die Flammen über auf das Eckhaus Mittelstraße und Burgstraße. Über der anstrengenden Tätigkeit der Feuerwehren, die weither aus der ganzen Umgegend herbeigeeilt waren, gelang es, das Feuer auf dem Dache dieses Hauses niederzuhalten. Wäre dann der Wind umgeschlagen, so wäre sicher auch der ganze nördliche und östliche Ortsteil, weil er dieselbe gedrängte Bauart hat, unrettbar ein Raub der Flammen geworden. Nicht ein einziges altertümliches Haus könnten wir heute noch sehen und bewundern. Wohl an vierzig Feuerspritzen waren im rasenden Galopp an der Brandstätte erschienen.

 

Unbeschreiblich ist der Jammer, herzergreifend das Weinen und Klagen der Unglücklichen. Kinder riefen nach ihren Eltern, die Eltern suchten ihre Kinder. Alte Leute, Kinder und Frauen, flüchteten in die Kirche, in die Schule und dort unten in die Mühle. Kinder, die noch nicht laufen konnte, wurden zu Haufen in einigermaßen sichere Häuser gebracht. Das Elend ist sehr groß. Alle Häuser waren, soweit es nicht möglich war, ausgeräumt. Die ganze Umgebung von Niederbrechen glich einem Biwak. Aber so groß auch das Unglück war, kein Menschenleben ist zu beklagen. Ein süßer Trost ist geblieben: Man zählte die Häupter seiner Lieben, und sieh, es fehlte kein teures Haupt. Auch alles Vieh ward gerettet. Es wurde zusammengetrieben und auf der großen Wiese von dem treuen Hirten bewacht, der seinen Posten nicht verließ, obgleich auch sein Häuschen niederbrannte. Da das Vieh in damaliger Zeit täglich an die Kasten zur Tränke geführt wurde, ist es nicht so scheu und ließ sich leicht forttreiben. Nur zwei Kühe liefen wieder zurück in den brennenden Stall, wo sie in den Flammen umkamen. Leer gebrannt ist die Stätte, wilder Stürme rauhes Bette" In den öden Fensterhöhlen wohnte das Grauen. Noch nach Tagen flammte das Feuer auf, kohlten und schwelten die Balken. Vier Wochen lang hielten 30-40 Mann Wache auf der Brandstätte.

 

Über die Ursache des Brandes hat man niemals Zuverlässiges erfahren können. Man sagt., daß spielende Kinder das Feuer angesteckt hätten.

Allgemein ist die Teilnahme, nicht bloß in Nassau, sondern in ganz Deutschland. Aber dieses Mitleid bestand nicht nur in Worten und in Zeitungsartikeln, es wurde auch kräftig in die Tat umgesetzt. Von allen Seiten flossen reichlich die gaben sowohl für die Menschen als auch für das Vieh. Nahrungsmittel, Kleidungsstücke und Wäsche spendeten zumeist die Städte, während die ländlichen Gemeinden  wetteiferten in der Lieferung von Heu und Stroh für das Vieh. Auf der Oberbrechen Straße waren großen Haufen von Heu und Stroh aufgestapelt, die nach Bedarf verteilt wurden. Es gingen Fuhren von hier ab weithin bis in entfernte Dörfer, was den Einwohnern dort durch die Schelle bekannt gemacht wurde. Diese legten dann die Bunde vor die Häuser, wo sie abgeholt wurden.

 

Ja, das ist eine schreckliche Heimsuchung. Aber es ist kein Unglück so groß, es bringt auch etwas Gutes. Unser ehrwürdiger, altertümlicher Flecken, durch die als alter Zeit stammenden Festungsmauern und Türme eingeengt, mit seinen krummen, winkligen Gassen und Gässchen und Alen, konnte jetzt in einem neuen Gewande erstehen. Es ist keine Zeit zu verlieren, denn jeder musste wieder ein Obdach haben. Das Vieh brauchte seine Ställe und für das Heu im Sommer und die Feldfrüchte im Herbst mussten Scheunen gebaut werden. Deshalb entstand bald ein neuer Ortsplan. Vor dem Brande standen unterhalb der großen Chaussee noch keine Häuser, oberhalb an derselben waren nur wenige. Fast alle Häuser lagen innerhalb der Stadtmauern; daher die eng ineinander gebauten Häuserviertel. Jetzt konnte der ganze Ort eine größere Ausdehnung annehmen. Wenn seither über der neuen Anlage, der jetzigen Neuen Straße, fast keine Häuser standen, so wurde jetzt das Straßennetz auch noch dieser Seite ausgedehnt. Es trat eine große Bautätigkeit ein. Die meisten Abgebrannten wollten sich jetzt nicht mehr an der alten Stelle anbauen. Sie wollten sich draußen eine neue Hofreite mit großem Hofe und schönem Garten anlegen. Dazu ist Platz reichlich vorhanden, Viele Hände mussten sich fleißig regen. Es mussten Steine gebrochen und Backsteine gebrannt werden. Bei den Aufräumungsarbeiten stieß man an mehreren Stellen auf übereinander liegende Gewölbemauern und angekohlte Balken, die noch von dem großen Brande herrührten, der am 6. Dezember 1631 gewütet hatte. So fand man bei diesen Arbeiten in dem Wirtshaus an der Oberpfort ein menschliches Skelett, ohne Sarg mit einer Schaufel dabei. Viele Fuhren, selbst aus entfernten Orten, stellten sich den ganzen Sommer zur Verfügung, um den Bauschutt, der an manchen Stellen 10-12 Fuß hoch lag, fortzufahren und die Baumaterialien herbei zu schaffen. Dieser reichen, freiwilligen und uneigennützigen Unterstützung durch unser  Nachbarorte nah und fern wollen wir uns alle-zeit in Anerkennung und Dankbarkeit gern erinnern. - Das Brand Amt, daß alljährlich am Georgstage (23. April) gehalten wird, erinnert an den großen Brand vor 294 Jahren.

© Heimatbuch von Niederbrechen (1925), S. 118ff:

Was berichtet die Zeitung in jenen Tagen?

Niederbrechen, 30 April (Großer Brand). Daß mit des Geschickes Mächten kein ewiger Bund zu flechten ist und das Unglück oft sehr schnell schreitet! das hat heute unser alter volkreicher Flecken in der erschütterndsten Weise erfahren müssten. Gegen halb sieben Uhr nachmittags kam im ältesten Teil des Fleckens, woselbst zu allem Unglück die Gebäude fast nur eine Masse bildeten, eine Feuersbrunst zum Ausbruche, die bei der jetzigen Trockenheit und dem sehr scharfen ungünstigen Winde reißend schnell um sich griff und in wenigen Stunden zwei lange Straßen ergriff. Trotz der vielen anwesenden Menschen, trotz der Feuerspritzen und anderer Löschapparate konnte die zehrenden Elemente kein Einhalt getan werden. Die Größe des Unglücks lässt sich im Augenblicke noch nicht übersehen. Menschenleben sind, so viel ich habe bis jetzt in Erfahrung bringen können, sind nicht zu beklagen.

© Der Rheinische Kurier

 

Der am 30. v. M. in Niederbrechen ausgebrochene Brand, ist einer der größten in diesem Jahrhundert in dem früheren Herzogtum Nassau. Zur Zeit der Entstehung des Feuers waren die meisten Leute noch auf dem Felde und das Feuer durch einen heftigen Wind angefacht, sehr rasch um sich griff, so konnten die erschreckten Bewohner kaum ihr Vieh retten, von Mobilien, Kleider etc. ist fast nichts gerettet worden und hier ist rasch Hilfe dringend geboten. Wohl sind die obdachlosen Bewohner nebst ihrem Vieh in den benachbarten Ortschaften untergebracht, wohl wurde von Limburg, Dauborn und anderen Orten für Lebensmittel gesorgt, aber es ist doch mehr als des zum Leben nötig und haben daher mehrere hiesige Bürger, von denen einigen die Brandstätte besucht haben, einen Aufruf erlassen zur Unterstützung der Bedrängten. Wir hoffen, daß der milde Sinn unserer Bewohner wie schon so oft, sich auch hier wieder bewähren wird.

Eine lebendige und anschauliche Schilderung des großen Brandes hat am 50. Jahrestag unser Landsmann Peter Kasteleiner aus Koblenz, der das große Ereignis erlebt hat, in "Land und Zeit" veröffentlicht.

7. Mai 1872. Wiesbaden

 

Der große Brand 1872

Vor 103 Jahren, am 30.4.1872, suchte den damaligen "Flecken" Nie-derbrechen ein schweres Feuer heim.  In dem Kreis-Blatt für den Unterlahn-Kreis (Amtsbezirke  Diez, Limburg, Nassau und Nastätten) und das Amts-Blatt für die Amtsbezirke Diez und Nastätten vom 4. Mal 1872, welches uns dieser Tage In die Hand fiel, lesen wir folgenden Aufruf:

Aufruf

zur Hilfeleistung für die durch Brand am 30. April verunglückten Einwohner der Gemeinde Niederbrechen. Der letzte Tag des Monats April Ist für den Flecken Niederbrechen ein Tag schwerer Heimsuchung und unsäglichen Jammers geworden.  Gegen 1/2 7 Uhr abends erscholl der Schreckensruf „Feuer“ ! Und um 10:00 Uhr schon standen 85 Wohnhäuser und ebenso viele Scheunen und Stallungen in Brand. Da der größere Teil der Bewohner mit landwirtschaftlicher Arbeit in der sehr ausgedehnten Gemarkung beschäftigt war, dabei ein ziemlich starker Nordostwind den Brand in die dicht aneinanderhängenden alten Gebäude rasch verbreitete, so konnte, zumal es auch an Wasser fehlt, es nicht verhütet werden, daß in etwa 4 Stunden die Hälfte des 1400 Einwohner zählenden Fleckens ein Raub der Flammen und dadurch die halbe Bevölkerung obdachlos wurde. Bei der raschen Verbreitung des Feuers sind nicht allein die Gebäude, sondern auch das darin Befindliche, wie Stroh, Frucht, Heu, Kartoffeln, Hausgeräte zu Grunde gegangen. Selbstverständlich ist die Notlage dieser Unglücklichen eine nicht gewöhnliche und bedarf es keiner weiteren Schilderung, um die werktätige Liebe milder Herzen zu erwecken und diese zu christlichen Liebesgaben zu veranlassen.

Indem das zur Unterstützung der Brandbeschädigten zusammengetretene Comite um solche Liebesgaben ergebenst bittet, spricht dasselbe schon im Voraus auch für die kleinste Gabe seinen Dank aus.

Niederbrechen, Diez, Limburg, den 1. Mal 1872
Königstein Joseph I., Dekonoi.  Königstein, Gerichtsschöffe, Lorsbach, Königl.  Amtmann.  Rasse, Königl. Landrat. Orth, Dekan.  Ollg, Lehrer,  Roos, Gerichtsschöffe, Roth, Gerichtsschöffe,  Rtthl, Gerichtsschöffe.  Schupp, Bürgermeister,  Schütz, Bürgermeisterstellvertreter,  Staat, Lehrer.

Inform 31.05.1984:

Wir berichteten in der vorletzten Ausgabe von „Inform“ von dem großen Brand in Niederbrechen. Diese Veröffentlichung hat eine große Reaktion gezeigt.

Man sprach über diese ungeheuerliche Katastrophe.

Im Archiv des alten Rathauses sind auch alle Häuser mit Eigentümer aufgezeichnet, denen dieser Brand Haus und Hof gekostet hat.

In diesem Zusammenhang unterrichtete den Chronisten die Familie Reiter aus der Limburger Straße über eine Belobigung ihres Vorfahren Joseph Kramm II – er, der damals als Kuhhirt das Vieh, welches aus dem ganzen Dorf auf die Wiesen im Emsbachtal getrieben wurde während des Brandes, ein „Führungs – Attest“ der Gemeinde 1985 ausgestellt bekam.

Seit dieser Zeit nennt man diese Familie ja auch im Dorfmund „Keuherts“

Neben dem Text des Führungszeugnisses wird auch noch eine Ablichtung einer Auszeichnung des Vereins der Nassauischen Land- und Forstwirte aus dem Jahre 1871, also vor dem großen Brand in Niederbrechen veröffentlicht.

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