Werschau im 2. Weltkrieg

Die nachfolgende Dokumentation aus der Zeit von 1939 bis 1945 stammt sowohl aus der Schul- bzw. Kirchenchronik bzw. aus dem Werschauer Gesprächskreis, ergänzt durch die Aussagen von anwesenden Zeitzeugen.

Der Krieg und die Kinder

Anna Elisabeth (Liesel) Schmitt (* Staat, Jg. 1935) geht 1940 in den Kindergarten und wird 1941 zusammen mit 8 weiteren Kinder in die Schule neu aufgenommen. Im Laufe ihrer Schulzeit haben einige Kinder Keuchhusten, sie dürfen dann nicht in die Schule gehen und werden zu Hause mit den zur Verfügung stehenden Mitteln behandelt. Im Sommer 1941 haben viele Kinder Scharlach, die Schule bleibt einige Tage geschlossen, die Kinder dürfen nicht raus, lediglich auf das Feld dürfen die Bauern ihre eigenen Kinder mitnehmen. Da der Werschauer Lehrer Schmitt mehrmals krank ist bzw. zur Wehrmacht eingezogen wird, fällt auch im Laufe des Kriegs der Unterricht einige Mal aus.

Weihnachten 1940 und 1941 sammeln die Schulkinder Sachspenden, sie schicken diese mit einem Anschreiben vom Lehrer Schmitt an die Werschauer Soldaten. 1944 geht Liesel in Werschau zur Erstkommunion, Pfarrer ist Baldus, Johann. Sie wird im gleichen Jahr zusammen mit 29 Werschauer Kindern in Niederbrechen von Bischof Dr. Antonius Hilfrich gefirmt. Zum Religionsunterricht müssen die Kinder in die Kirche. Nach dem Krieg springt der Limburger Lehrer Hans Baldus ein bis der Werschauer Lehrer Schmitt wieder unterrichten darf.  Er muss - bis zur Anschaffung neuer - ohne Schulbücher auskommen. Aus der Schule wird Liesel 1949 entlassen.

Der Krieg beginnt

Am 26.08.1939 erfolgen plötzlich in der Nacht die ersten Einberufungen, am 28.09.1939 müssen die Bauern insgesamt 10 Pferde abgeben.

Ende 1940 fallen in der Nähe von Werschau- und Heiligabend 1941 in Oberbrechen die ersten Bomben. Im Falle eines Fliegeralarms (zumeist nachts) verdunkelten die Einwohner ihrer Fenster und suchen die Luftschutzkeller auf. Diese befinden sich in einigen Häusern und werden durch weiße Pfeile an den Hauswänden gekennzeichnet.

Zwei Glocken der Pfarrkirche – sie läuten im Krieg immer bei besonderen Ereignissen - und die Begräbnisglocke auf Bergen müssen am Anfang 1942 abgegeben werden. Das Abschiedsgeläute am Tage vorher stimmt alle Werschauer recht traurig.

Im Laufe des Kriegs wird auch die Lage auf den Dörfern immer bedrohlicher. Wegen der zunehmenden Zahl von Alarmen bzw. Angriffen verbringen die Einwohner Werschaus viele Nächte in den Luftschutzkellern, diese werden ausgebaut, und die Verdunklungsvorschriften werden immer schärfer überwacht.

Amerikanische Flugzeuge fliegen Karsamstag 1944 so niedrig über Werschau, dass sie auf Menschen auf der Autobahn schießen konnten. 1 Mann aus dem Westerwald wird dabei erschossen, einer wird schwer verletzt.

Ab Sept. 1944 werden fast täglich Flieger über Werschau gesichtet. Die Bevölkerung flieht jeweils in die Schutzräume, die Schule fällt öfters aus.

Am 25.09.1944 wird Nauheim schwer heimgesucht. Über 300 schwere Bomben fallen auf und um Nauheim, bis nach Werschau ziehen die Staubwolken nach der Zerstörung. Die Männer von Werschau eilen nach dem Angriff sofort nach Nauheim, um bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen.

Am 01.01.1945 stürzt ein deutscher Jagdflieger in der Gemarkung Werschau ab, der Pilot bleibt unverletzt. Ein angeschossenes englisches Bombenflugzeug macht am 03.02.1945 einen Notabwurf, eine Luftmine fällt in Dauborn und macht viel Schaden. 8 Menschen sterben. Die Geräusche der Mine während des Abwurfs sind auch in Werschau zu hören.

Am 21.02.1945 sind etwa 20 feindliche Jagdflugzeuge zu sehen, die nach allen Richtungen schießen. Am 02.03.1945 werden schon morgens Feindbomber über Werschau gesichtet, an diesem Tag werden Nieder- bzw. Oberbrechen getroffen.

Die letzten Tage

Werschau wird am 10.03.1945 morgens um 08:00 Uhr aus der Luft beschossen, Einschüsse gibt es an vielen Häusern, in der Bergerkirche sind sämtliche Fenster durch Luftdruck bei Explosionen ganz eingedrückt, die großen werden ganz herausgeschlagen.

Der Palmsonntag am 25.03.1945 ist sowohl für Niederbrechen als auch für Limburg der schlimmste Tag im ganzen Krieg. Der Hauptangriff ist auf die Bahnanlagen, die lichterloh brennen die Eisenbahnwagen sind bis nach Werschau zu sehen.

In der Umgebung von Werschau entlang der Autobahn kommt es noch zu Gefechten zwischen den herannahenden US-Einheiten und SS-Truppen. Die SS bedroht deutsche Zivilisten, die weiße Tücher zum Zeichen der Kapitulation aufhängen wollen. 2 SS-Leute fallen in diesem Kampfe unweit des Ortes.

Die Amerikaner schießen - ausgelöst durch diese Kampfhandlungen - am 27.03.1945 gegen 13:00 Uhr in Werschau von der Autobahn aus insgesamt 4 Scheunen in Brand und besetzen Werschau. Die Scheunen werden ein Raub der Flammen, weil anfangs niemand es wagen kann, den Schutzraum zu verlassen. Beim Löschen hilft auch die Nachbarwehr aus Niederbrechen.

Eine Frau, Elisabeth Weidenbusch, geb. Schmidt, geht auf Anruf der Amerikaner mit weißer Fahne zur Autobahn und gibt Aufklärung, dass die Bevölkerung keinen Widerstand leistet, worauf das Feuer eingestellt wird.

Liesel Schmitt ist – wie bei allen Fliegeralarmen- zumeist im Luftschutzkeller im Nachbarhaus (Becker), doch ihre Oma Elisabeth Staat verbleibt wie immer im heimischen Stall. Als etwa 50 Meter neben dem Luftschutzkeller zwei Scheunen in Brand geschossen werden, darf Liesel erst nach einiger Zeit aus dem Keller heraus und hilft mit beim Löschen.  

Ein Dorf muss zusammenrücken

In der Zeit von Nov. 1939 bis März 1940 sind in Werschau ca. 140 Soldaten stationiert. Sie helfen teilweise in der Landwirtschaft (also auch im elterlichen Betrieb von Liesel) aus und holen bei Einbruch großer Kälte am Ende des Jahres mit ihren Autos von Köln Briketts, was als große Wohltat empfunden wird, da der Eisenbahntransport teilweise aussetzt. Sie übernehmen zum Glück auch das Holzfällen bei größter Kälte von 18 bis 26 ja 30 Grad. Die Soldaten helfen auch beim November-Hochwasser 1939 mit, das Vieh der Landwirte in den überschwemmten Bereichen ins Trockene zu bringen. Ein Krieger verliebte sich in dieser Zeit in ein Werschauer Mädchen, einige Jahre später haben die beiden geheiratet.

Nach dem Frankreichfeldzug kommen die ersten Kriegsgefangenen nach Werschau, die den Bauern bei der Arbeit helfen. Auch einige polnische Zivilarbeiter sind bei Bauern zur Arbeit eingesetzt. Die Kriegsgefangenen sind in einer Gemeinschaftsunterkunft im Saalbau Urban untergebracht, während die polnischen Arbeiter bei ihren Arbeitgebern wohnen.

In Werschau werden ab April 1944 insgesamt 108 Bombengeschädigte aus den Großstädten (zumeist bei Ihren Verwandten) einquartiert.

Die ersten Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten kommen am 13.03.1946 nach Werschau, im Zuge dieser unmenschlichen Umsiedlung kommen über 150 Menschen.

28 Soldaten kommen nicht mehr heim

Im Laufe des Kriegs sind über 100 Werschauer am Kriegsgeschehen beteiligt. Ende 1941 stehen 58-, Ende 1942 sogar 63 Werschau unter Waffen. Ende Juni 1941 fällt der erste Werschau Bürger an der Ostfront, insgesamt kommen 28 Werschauer nicht mehr aus dem Krieg zurück. Die Werschauer Katharina Liebergall, 88 Jahre alt, wird am 10.03.1945 auf dem Wege zum Luftschutzkeller in Werschau vom Geschoss eines Tieffliegers tödlich getroffen. Die Angehörigen in Werschau haben nach Kriegsende monatelang große Sorgen um die in Gefangenschaft weilenden Soldaten, da keine Nachrichten eintreffen. Nur einzeln kehren sie nach und nach zurück. Viele Heimkehrer werden vom Männergesangverein mit Gesang am Ortseingang begrüßt. Muth, Heinrich kommt als letzter Gefangener aus russischer Gefangenschaft am 11.12.1949 heim nach Werschau.

Der Vater von Liesel Schmitt wird im Herbst 1944 eingezogen, er fällt am 22.02.1945 als Grenadier in Polen. Bis 1950 werden seine Angehörigen im Unklaren über sein genaues Schicksal gelassen.

Das Leben kurz nach dem Krieg

Am 26.03.1945 am Morgen wird das große Heereslager in der früheren Getreidehalle in Niederbrechen vom Intendanten freigegeben und nun ging es ans Abtransportieren. Ungeheure Vorräte an Reis, Schuhen, Kleider, Wäsche sind da aufgestapelt. Auch Liesel Schmitt fährt – wie viele Werschauer Kinder – am nächsten Tag mit nach Niederbrechen und sammelte Schuhe und Stiefel. Später haben die Kinder ihre gesammelten „Schätze“ gegen Zigaretten getauscht. 

Bei schönem Wetter kommen am 28.03.1945 gegen Mittag viele Panzer und andere Wagen in Werschau den Nauheimer Weg herunter, fahren wieder zurück, nachdem sie Häuser nach deutschen Soldaten durchsucht haben.

Unzählige Fahrzeuge fahren am 29.03.1945 in Werschau hin und her. Die Kinder bekommen Schokolade, was den Druck auf die Gemüter etwas mildert. Weiter kein Strom, keine Zeitung.

Am 30.03.1945 Ausgangssperre in Werschau in nächster Zeit: Von 18:00 bis morgens 07:00 Uhr dürfen die Bewohner nicht auf die Straße, Fotoapparate müssen abgeliefert werden.  Mehrere französische Soldaten können am Ostersonntag 01.04.1945 endlich in Werschau in die Kirche gehen. In Werschau gibt am 16.04.1945 ab 08:00 Uhr wieder Licht und Wasser und auch Radio.

 

Autor: Arbeitskreis Historisches Brechen, -UJ-, 27.01.2022

Erinnerungen an das Kriegsende

Von Gerhard Jung

Montag, der 26.03.1945,
der Tag, an dem die amerikanischen Truppen sich Limburg näherten. Der Abend, an dem die schöne, heute nur noch auf Fotos zu sehende Autobahnbrücke in Limburg gesprengt wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Lahn sich bis weit hinter Dehrn aufstaute. Der Abend, als das Gasthaus Zollhaus, vor Mensfelden an der B 417 gelegen von den Amerikanern in Brand geschossen wurde. Es war auch der Tag, an dem gegen Abend das Versorgungslager der deutschen Wehrmacht (später Weberei; Fa. Eichhorn) geöffnet wurde. Es kamen viele Menschen aus den Nachbarorten und jeder nahm, soviel er tragen und mitnehmen konnte, ob DZ-Reis oder Zucker, ob Militärmäntel oder Unterwäsche, ob Stiefel oder Schuhe, ob Schuhnägel oder Zwirn.

Auch wir, 10, 11, 12, 13 oder 14 Jahre alte Buben beteiligten uns am Ausräumen und nahmen mit, was wir tragen konnten. So hatte ich 2 Paar Stiefel und 5 Paar Schuhe um den Hals hängen und wollte mit dieser Beute nach Hause. Es war schon fast dunkel. Auf dem Heimweg kam uns in Höhe zum Eingang des heutigen Kieswerkes ein Transport russischer Gefangener zu Fuß entgegen. Sie kamen aus Richtung Dauborn und hatten das Ziel Villmar. Es waren viele, vielleicht um die tausend Männer, alle schlecht gekleidet und viele ohne Schuhwerk. Es kam wie es wohl kommen musste. Im Nu hatten wir fast die Hälfte unserer Schuh- und Stiefelbeute an die uns entgegenkommenden Gefangenen verloren. Um nicht den Rest noch zu verlieren, wir kannten uns ja in der Gegend aus, liefen wir über die kleine Bachbrücke (Schafsbrücke) und die Wiesen durch die Krautgärten nach Hause. Zuhause angekommen saßen in der Küche uns bekannte französische Gefangene, die ja nun frei waren und für ihren Heimweg auch Schuhwerk brauchten.

So blieb von meiner ganzen Beute ein einziges Paar übrig.

 

Dienstag, der 27.03.1945,
mein 11ter Geburtstag. Ein strahlendschöner Frühlingstag, auf und vor der Treppe zum Eingang des Gasthauses „Zur Post“ (Urban). 6 Soldaten der deutschen Wehrmacht, genauer: 6 Angehörige der Waffen-SS bei ihrer Lagebesprechung. Die Uhrzeit: so ca. 9.00h. Sie hielten u. a. einen Kradmelder der Luftwaffe an, der mit seiner Beiwagenmaschine von Dauborn kommend in Richtung Niederbrechen fuhr. Nachdem dieser die Anordnungen des Befehlshabers der SS-Gruppe ignorierte und in Richtung Niederbrechen davonfuhr, hat man ihm noch eine Gewehrsalve hinterhergeschickt. Es war so gegen 9.30h, 10.00h, als auf einmal dichter Nebel aufkam, wahrscheinlich durch Nebelgranaten verursacht, die von den amerikanischen Truppen zur Vorbereitung ihres Angriffes abgeschossen wurden. Im Schutz dieses dichten Nebels begab sich dann die 6Mann starke Truppe von SS-Leuten durch die Krautgärten in Richtung Autobahndamm, rechts und links der Kreisstraße. Gegen 13.00h, 13.30h hörte man dann Motorengeräusch auf der Autobahn von den aus Richtung Limburg herannahenden Panzerverbänden der Amerikaner. Wie nachher zu sehen, waren es viele, denn sie füllten aneinander gereiht mindestens die Strecke von 1km von der Reusch über das Wörsbachtal bis oberhalb der Autobahn über den Oberbrecher Weg. Werschau war von der Autobahn aus noch gut einsehbar. Es gab noch keine Bewaldung und keine Schutzwälle. Die 6 SS-Soldaten versuchten nun mit ihrer leichten Ausrüstung –sie hatten nur Sturmgewehre und Maschinenpistolen- sich dieser Übermacht entgegen zu stellen. Drei Männer sind bei dieser Aktion gefallen. Zwei wurden schwer verwundet und nur einer blieb unverletzt. Einer der Soldaten, der auf dem Gelände der Gemeinde Werschau gefallen war, es handelte sich um den 24jährigen Josef Grabner aus Österreich wurde auf dem Kirchhof vor der Kirche in Werschau beerdigt. 1972, beim Umbau der Kirche wurde er auf den Berger Friedhof umgebettet. (Zu den Verwundeten und dem unversehrten Soldaten berichte ich später.)
Es folgte ein schwerer Beschuss durch die amerikanischen Truppen auf Werschau, ausgelöst durch die Kampfhandlungen an der Autobahn, in dessen Verlauf 2 Scheunen in Werschau in Brand geschossen wurden. Der Beschuss erfolgte, Gott sei Dank nur mit leichteren Waffen (MG-Feuer und Leuchtspurmunition). Wäre er mit Panzergranaten erfolgt, wäre von dem Örtchen Werschau nicht mehr viel übriggeblieben. Die Bevölkerung befand sich während der Kampfhandlungen fast ausnahmslos in ihren Kellern und Schutzräumen. Der Beschuss dauerte ungefähr 1Std. Es brannten die Scheunen des Landwirtes Albert Jung (meinem Großvater/Bobbsches) und von Eduard Ricker. Beide Scheunen nebeneinanderstehend und zum Glück durch Brandmauern von den Nachbarscheunen getrennt, so dass das Feuer nicht so schnell übergreifen konnte. Das sich in den Stallungen innerhalb der Scheunen befindliche Vieh, in der Hauptsache Kühe, wurde vor den Flammen gerettet und auf die Wiesen in den nahegelegenen Krautgärten getrieben. Die Löscharbeiten wurden von Schmiedemeister Hermann Schmidt, dem fast einzigen Mann, der aus Werschau nicht zum Volkssturm musste, koordiniert. Der Volkssturm wurde in den letzten Tagen vor Einmarsch der Amerikaner aufgestellt, dem auch einige Männer zwischen 50 und 60 Jahren aus unserer Gemeinde angehörten. Hermann Schmidt leitete mit Unterstützung einiger Frauen und Jugendlichen die Löscharbeiten.
Das Schießen hatte aufgehört und man glaubte es würde nun nichts mehr geschehen. Wir, die wir ja noch Kinder waren, waren von der Neugier geplagt. So viele Panzer hatten wir noch nie gesehen. Wir wollten so nahe wie möglich an der Autobahn sein, um sie zu sehen. Wir waren zu zweit. Mein Schulfreund Günter Kehr, der in diesen Tagen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern im Elternhaus seiner Mutter Zuflucht gefunden hatte und ich. Wir befanden uns auf dem Weg zur Autobahn, auf der Wiese hinter dem Anwesen von August Göbel. Ganz unvermittelt fing ein weiterer Beschuss an, ausgelöst von einem Sturmgeschütz der deutschen Wehrmacht, das vom Ortsrand Nauheim aus einige Salven auf die amerikanischen Panzerverbände auf der Autobahn abgefeuert hatte. Günter und ich suchten Schutz hinter den Stallungen der Familie Staat, in dem kleinen Weg, der in die Wiesen führt. Unterwegs dorthin machten wir die Bekanntschaft mit einem schlammigen Abflussgraben. Dort standen wir nun mit zitternden Knien bis uns das Ganze zu gefährlich wurde, denn von der Autobahn aus Richtung Wörsbachtal wurde auch geschossen, und es hätte uns durchaus treffen können. Die Leuchtspurgeschosse flogen über uns hinweg und die waren es auch, die weitere 2 Scheunen in Werschau in Brand setzten. Es waren die Scheunen der Fam. Franz Hilfrich (Usbese Scheuer) mitten im Ortskern, heute Wiesenstr. 1 und die freistehende Scheune von Bäcker Josef Arnold in der Au. Diese Scheune wurde später von der Vertriebenenfamilie Schnith zu einem Wohnhaus ausgebaut. Nach einigem Zögern liefen wir dann zu dem Gehöft von Bäcker Josef Arnold (Hintergasse). Dort führte ein schmaler Durchgang (Ahl) über den Pfarrhof zu Franz Trost (Untergasse), heute Wohnhaus von Familie Asmussen. In dem Dickwurzkeller, der Eingang zum Keller war unter dem Torbau, befanden sich betend einige Frauen und Kinder. Für Günter war der Weg nach Hause nun nicht mehr weit. Das Elternhaus seiner Mutter war gegenüber auf der anderen Straßenseite. Aber wie kam ich nun in den Nauheimer Weg zu dem Haus von Elisabeth Eufinger? Warum dorthin und nicht nach Hause? Dor im Keller war meine Mutter mit der Betreuung der 2 schwerverwundeten Soldaten beschäftigt. Der eine Soldat hatte einen Durchschuss im unteren Schulterbereich. Dem anderen war am Ellenbogen fast der Arm abgetrennt worden. Zu meinem Weg: Ich lief von dem Hause Trost in Richtung Wörsbachbrücke. Dort saßen auf einer Bank Bäcker Josef Arnold und der Altlehrer Kaspar Wolf. Beide rauchten ihre Pfeifen und sahen ab und zu um die Ecke nach der brennenden Scheune. Lehre Wolf hatte seine Bienenvölker noch schnell vor den Flammen in Sicherheit bringen können und sie im Gartenbereich abgestellt. Einige MG-Geschosse schlugen auf der Straße auf, man hörte es und sah auch die Funken sprühen. Aber ich musste ja weiter, weiter an einem Gartengelände entlang (heute vor dem Hause Adalbert Beck), dann in einen Schlammgraben, der vor den Häusern Edel, heute Laser und Muth, heute Geis verlief. Wie aber über die ungeschützte Straßenkreuzung kommen? Ich nahm allen Mut zusammen, lief, so schnell ich konnte zu dem schräg gegenüber verlaufenden Nauheimer Wässerchen, damals noch ein offener Graben. Von da aus waren es nur noch 50m. Der Empfang im Hause Eufinger war alles andere als herzlich. Dort stand im Flur, in Höhe eines kleinen Fensters ein SS-Soldat, dem einzigen Unverwundeten auf Beobachtungsposten. Er empfing mich mit ein paar kräftigen Backpfeifen und beorderte mich sofort in den sicheren Keller. Meine neugierige Episode war zu Ende und mir, Gott sei Dank nichts passiert. Es hätte auch anders sein können.
Im Keller musste ich dann Sanitätsdienste übernehmen. Ich saß neben dem Verwundeten, der die Armverletzung hatte. Sein Arm war wegen der starken Blutung im oberen Bereich abgebunden und meine Aufgabe war es, die Bindung ca. alle Viertelstunde etwas zu lösen. Die beiden verwundeten Soldaten wurden noch in der Nacht von zurückweichenden deutschen Truppen von einem mit Pferden bespannten Wagen mitgenommen. Deren Weg führte von Nauheim durch Werschau, den Oberbrecher Weg hoch in Richtung Oberbrechen, Weyer. Die meisten der amerikanischen Panzer waren auf der Autobahn in Richtung Süden (Frankfurt) weitergefahren und befanden sich im Bereich „Hohler Stock“, auf der Höhe zwischen Dauborn und Niederselters. Sie kamen am nächsten Tag wieder zurück, fuhren auf der Autobahn auf östlicher Seite in Höhe Mühlhohl ab, fuhren den Oberbrecher Weg herunter, durch unseren Ort, mit den schweren Sherman-Panzern über die Wörsbachbrücke über die Landstraße in Richtung Niederbrechen.
Es ist noch zu sagen: nach dem zweiten Beschuss ging Frau Elisabeth Weidenbusch mit einer weißen Fahne in Richtung Autobahn, um zu zeigen, dass Werschau sich ergibt. Soweit meine Erinnerungen an diesen Tag.

 

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