Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich mich heute von hier aus verabschiede, so geschieht dies nicht zuletzt im Hinblick auf Erntedank.
In der Zeit als Ihr Bürgermeister habe ich von Ihnen allen so vieles erhalten, konnte ich Ihnen auch ein klein wenig durch meine Arbeit geben, wofür ich heute danken möchte. Wie jeder Landwirt, so durfte auch ich bei dieser Arbeit Samen in die Erde legen. Unser Boden in der Gemeinde ist nicht über-all gleich gut; trotzdem konnten wir in der gemeinsamen Feld-bestellung oft eine gute Ernte einbringen.
Die Frucht ließ uns immer wieder neue Hoffnung geben, daß sich das Leben in unserer Gemeinde lohnt.
In einer Gemeinde, in der Glück und Verzweiflung, Freundschaft und Einsamkeit, Zugehörigkeit und Fremdheit ebenso zu Hause sind wie das Lachen, Singen, Weinen, das Gebet und der Fluch.
Bei der gemeinsamen Feldbestellung durfte ich Ihr Tagelöhner, sein, einer von jenen Menschen, die immer sehr früh am Tage zur Feldbestellung oder Ernte aufs Feld gingen.
Manche Garben konnte ich binden und als Hausten zusammen. stellen. Manchmal fielen bei ungünstigem Wetter einzelne Garben aus dem Hausten heraus und zur Erde; ab und zu fielen auch ganze Hausten um. Doch sie wurden wiederaufgerichtet, wenn es auch bei Regen und Wind oftmals sehr schwer war.
Die Ernte konnte zum guten Schluss immer wieder eingefahren werden.
Bei dem Drusch wurde auch manchmal leeres Stroh mit-gedroschen; die meisten Halme aber trugen gute Ähren. Die Speicher füllten sich.
Hoffentlich können wir noch eine Zeit lang von dem Ernteertrag leben, bis die neue Ernte eingefahren ist.
Ihnen möchte ich ganz herzlich für die Mitarbeit bei der Feld-bestellung danken.
Lassen Sie diese Hilfe auch meinem Nachfolger zuteilwerden.
Lassen Sie ihn nicht bei Regen und Sturm allein auf dem Feld. Wenn ich zwischen Ährenfelder in unserer Gemeinde daher gehe, dann überkommt mich doch immer wieder der tröstende Gedanke und die wärmende Gewissheit, daß Gott uns nicht verlassen hat; wie viel wir dazu auch getan haben.
Und - wenn ich sehe, wie unsere Gemeinde trotz allem Ban-gen seine Ernte immer wieder von Neuem einbringt, dann gibt mein Herz die Hoffnung nicht auf, daß eines Tages unsere Gemeinde eine volle goldene Garbe sein wird.
Gehen Sie bitte diesen Weg zum Ziel gemeinsam und lassen Sie mich noch ein kleines Stück Weges mitgehen.
Ich bete:
Vater im Himmel,
ich danke dir für alles, was mir Heimat gibt
auf dieser Erde, auch Nähe und Geborgenheit.
Ich danke dir für die Aufgabe, die du mit für die Menschen in unserer Gemeinde gegeben hast - unter
der Devise auch mit meinen menschlichen Schwächen.
Verzeihe, wenn ich Unrecht getan, verzeihe aber
auch allen, die mir haben in ihrer Schwachheit haben
Unrecht tun wollen.
Vergib unsere Schuld.
ch danke dir für die Gemeinde, für das Haus, in dem ich wohnen kann,
für die Menschen und Tiere, die das Leben mit mir teilen. Ich danke für alles, was du mir anvertraut.
Gott, segne uns und unsere Gemeinde.
Quelle: Inform Brechen, 09.10.1980
Am Donnerstag, dem 27.11.1980, um 19.00 Uhr hatten sich im Freizeitraum der Emstalhalle der Gemeindevorstand und die Gemeindevertretung der Gemeinde Brechen so wie viele
Ehrengäste zur Verabschiedung des scheidenden Bürgermeisters Josef Kramm eingefunden.
Der Vorsitzende der Gemeindevertretung Josef Wünsch-mann begrüßte alle Anwesenden, darunter den Landrat des Kreises Limburg-Weilburg Georg Wuermeling, den Vorsitzenden der
Bürgermeistervereinigung Bürgermeister Windmeier, die Nachbarbürgermeister Klose von Runkel, Aumüller von Villmar, Wältermann von Selters, als Vertreter von Bürgermeister Valeske, den 1. Beigeordneten Stauf.
Mit besonderer Freude begrüßte er Bürgermeister Laluc mit Gattin aus Brimont.
Ebenso wurden willkommen geheißen Dekan Alfons Schmidt, Pfarrer Drechsler von Niederbrechen und Pfarrer Reich von Werschau.
Zur Verabschiedung waren ebenfalls erschienen Forstoberrat Zobel, Heinrich Schneider, Vorsitzender des Personalrates der Gemeindeverwaltung und langjähriger Schriftführer der Gemeindevertretung, der neue Bürgermeister Bernhard Königstein, Altbürgermeister Josef Keuler, der neue Rektor der Grund- und Hauptschule Niederbrechen Neuser, der Konrektor der Grund- und Hauptschule Oberbrechen, Herr Kuß, Theodor Roos als Vertreter der Ortsvereine.
Auch die Presse war vertreten. Mit besonderer Freude begrüßte der Vorsitzende der Gemeindevertretung Bürgermeister Kramm mit Gattin und Familienangehörigen.
Die Laudatio hielt der Beigeordnete Willy Diefenbach, der seit über 30 Jahren mit dem scheidenden Bürgermeister zusammengearbeitet hat, zuerst in der Turn- und Sportgemeinde, seit 8 Jahren im Gemeindevorstand. In der TSG sei Josef Kramm über viele Jahre der Motor der Vereinsjugend-arbeit gewesen. Er habe die Jugend nicht nur sportlich, sondern auch kulturell betreut. An der Herausgabe der Vereins-zeitung habe er maßgeblich mitgewirkt.
Es sei deshalb, so führte Diefenbach weiter aus, eine große Freude für ihn gewesen, als er in der Sitzung am 29.12.1972 Josef Kramm die Ernennungsurkunde zum hauptamtlichen Bürgermeister seiner Heimatgemeinde überreichen konnte.
Nach dem Zusammenschluss von Niederbrechen, Oberbrechen und Werschau zur Gemeinde Brechen wurde er am 3.12.1974 zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister der Gemeinde Brechen gewählt.
Vieles habe er in seiner 8-jährigen Bürgermeistertätigkeit geleistet. Obwohl Josef Kramm Lobesworte nicht gerne höre, nannte Diefenbach doch eine Reihe von Projekten, die Kramm angeregt und durchgeführt habe. Stich wortartig und unvollständig sei hier einiges aufgeführt:
Erstellung eines Flächennutzungsplanes,
Bebauungspläne für alle drei Ortsteile,
Ausweisung der Gewerbegebiete "Flachsau und "Brühlau",
Ansiedlung von Gewerbebetrieben,
Bau der Emstalhalle und viele feste Großveranstaltungen,
1200 Jahrfeier mit Herausgabe einer Ortsgeschichte von Oberbrechen
Ausbau vieler alter und neuer Straßen, Beitritt zum Abwasserverband "Goldener Grund", Gasversorgung, Erwerb des Schwesternhauses in Niederbrechen als neues Rathaus, Errichtung der Sozialstationen u. v.a.m.
Mit der Erschließung der Quelle "Finkel" sei die Wasser-versorgung der Bevölkerung sichergestellt, ja Kramm habe sogar noch für die Zukunft vorgesorgt mit der fündigen Bohrung in Werschau.
Diefenbach stellte auch die steten Bemühungen um den Europagedanken und die Völkerverständigung heraus. Durch sein Engagement hätten alle drei Ortsteile ihre ausländischen Partnergemeinden:
Niederbrechen Enghien/BeIgien
Oberbrechen Brimont/Frankreich
Werschau Courcy/Frankreich.
Die Anwesenheit von Bürgermeister Laluc mit Gattin aus Brimont unterstreiche diese herzliche Verbundenheit.
Natürlich mussten die Gemeindegremien bei der Verwirklichung dieser Projekte mitziehen. Aber zu vielem habe er doch die Anregung gegeben und die Initiative ergriffen. Viel Zeit und Arbeit habe Bürgermeister Kramm über die Dienst-stunden hinaus investiert. In seiner sozialen Einstellung und dem Willen, jedem zu helfen, sei er manchmal an den Realitäten gescheitert. Diefenbach meinte, daß mit dieser Diskrepanz zwischen Wollen und Verwirklichen wahrscheinlich jeder Bürgermeister leben müsse. Das habe aber Josef Kramm nie davon abhalten können, weiter für die Bürger seiner Gemeinde da zu sein. Der Redner stellte heraus, daß er die Arbeit des Bürgermeisters aus nächster Nähe und als Vertreter kenne. Sie gehe an die Substanz und zehre an der Gesundheit. Das habe auch Bürgermeister Kramm erfahren müssen, der sicher gerne noch manches angepackt und zu Ende geführt hätte. Aber die Gesundheit habe den Vorrang vor allem Wollen und Planen. So müsse er aus gesundheitlichen Gründen zum 30.11.80 in den Ruhestand treten.
Heute seien viele gekommen, um sich von ihm in aller Form zu verabschieden. Diefenbach dankte im Namen aller Bürger für alles, was er bisher, besonders aber als Bürgermeister, für sie getan habe. Er wünsche ihm und seiner Frau noch viele glückliche Jahre, in denen sie das nachholen könnten, auf das sie aus Zeitmangel bisher verzichten mussten. Auch bei Frau Kramm bedankte sich Diefenbach für das Verständnis und die persönlichen Opfer, die sie für die Arbeit ihres Mannes stets aufgebracht habe. Als Zeichen des Dankes überreichte er dem Bürgermeister ein persönliches Ge-schenk und Frau Kramm einen Blumenstrauß.
Nach der mit viel Beifall aufgenommenen Laudatio sprach der Vor-sitzende der Gemeindevertretung Wünschmann den Dank und die besten Wünsche der Gemeindegremien aus. Er über-reichte als Geschenk der Gemeinde eine schöne Emaille Arbeit "Madonna mit dem Kopftuch" und deutete die Symbolik dieses Geschenkes.
Landrat Wuermeling dankte dem scheidenden Bürgermeister für die geleistete Arbeit und stellte als markante Punkte seiner Tätigkeit heraus:
1. Bau der Emstalhalle, die inzwischen zu einem sportlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt des "Goldenen Grundes" geworden sei
2. Ansiedlung von Gewerbebetrieben und dadurch Schaffung von Arbeitsplätzen
3. Sein Einsatz für die Jugend und die alten Menschen
4. Sein Bemühen um die europäische Verständigung.
Als Zeichen seines Dankes überreichte er die Silbermünze des Kreises und ein Buchgeschenk. Bei Frau Kramm bedankte er sich mit einem Blumenstrauß.
Als nächster Redner sprach Bürgermeister Windmeier (Weilmünster) für die Bürgermeistervereinigung. Er hob die Arbeitsintensität und die liebenswürdige Art des scheidenden Kollegen hervor. Mit guten Wünschen überreichte auch er Geschenke an das Ehepaar Kramm.
Bürgermeister Laluc aus Brimont überbrachte herzliche Grüße seiner französischen Landsleute. Die durch Bürgermeister Kramm ins Leben gerufene und nun schon 7 Jahre alte Freundschaft zwischen Oberbrechen und Brimont habe gute Früchte getragen und viel für die Verständigung zwischen den beiden Nationen beigetragen. Herbert Kramm, Sohn des scheidenden Bürgermeisters, war ein guter Interpret dieser Ansprache.
Dekan Schmidt bedankte sich, zugleich auch im Namen der Pfarrer von Niederbrechen und Werschau, für die gute Zusammenarbeit. Herr Kramm sei stets zur Vermittlung und zum Abbau von Spannungen bereit gewesen. Als sein Orts-pfarrer habe er ihm auch zu danken für die jahrelange aktive Mitarbeit im Kirchenvorstand und später im Verwaltungsrat.
Der neue Rektor der Grund- und Hauptschule Niederbrechen, Herr Neuser, bedankte sich, zugleich auch für die Grund- und Hauptschule Oberbrechen, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Theodor Roos sprach den Dank der Ortsvereine aus und wünschte Gesundheit und Zufriedenheit.
Der neue Bürgermeister Bernhard Königstein dankte für die geleistete Arbeit und bat um Rat und Unterstützung des scheidenden Bürgermeisters.
Der SPD-Ortsverein überbrachte durch seinen Vorsitzenden Werner Otto gute Wünsche.
In einem kurzen Schlusswort bedankte sich Bürgermeister Kramm bei allen, die während seiner 8-jährigen Bürgermeistertätigkeit mit ihm zusammengearbeitet haben und bei der gesamten Bevölkerung.
Diese Zeit habe ihm viel gegeben. Aber das Eigenleben sei doch zu kurz gekommen. Er habe nun wieder Zeit für Dinge, denen er sich bisher nicht widmen konnte. Trotzdem werde er auch weiterhin für die Mitmenschen da sein. Er appellierte an alle An wesenden, die kurze Lebenszeit sinnvoll zu nutzen.
Mit dem Spruch: "Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe“ und einem herzlichen Lebewohl verabschiedete sich Bürgermeister Kramm.
Quelle: Inform Brechen, 4.12.1980