Hermann Stern

Hermann Stern, heute 87-jährig und im Besitz einer erstaunlichen körperlichen und geistigen Konstitution (vor drei Jahren noch weilte er zusammen mit seiner Frau zu Besuch in Oberbrechen) begann seine berufliche Laufbahn nach der Entlassung aus der Volksschule seines Geburtsortes 1901 als kaufmännischer Lehrling in Mainz. Bereits zwei Jahre später, 1903, wanderte er als 16-jähriger nach den USA aus. In Casselton setzte er die in Deutschland abgebrochene Lehre in einem Herrenkonfektionsgeschäft fort, das M. G. Straus gehört, dem aus Heringen stammende Begründer einer Kette von Herrenkonfektionsgeschäften in den USA. Als 24-jähriger übernahm Hermann Stern 1911 die Leitung eines in Valley City neu eröffneten Geschäfts. Seinem kaufmännischen, kalkulatorischen und organisatorischen Geschick ist es zuzuschreiben, dass die „Straus Company of North Dakota“ sich stetig weiterentwickelte und dass diese Handelgesellschaft heute im Staat North Dakota 6 große moderne Geschäfte besitzt, und zwar in den Städten Valley City, Fargo, Grand Fords und Jamestown.

1912 heiratete Hermann Stern die ebenfalls in Deutschland geborene Adeline Roth. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor Richard und Edward.

Vor zwei Jahren konnte das Ehepaar das seltene Fest der Diamantenen Hochzeit feiern.

Die Ursache des persönlichen und beruflichen Erfolges, des Aufstiegs vom mittellosen Lehrling zum Chef eines großen Kaufhauses, sind ohne Zweifel auch vor allem in Hermann Sterns leidenschaftlichen kommunal- und verbands- und gesellschafts-politischem Engagement zu suchen, in seiner angeborenen und im Laufe seines langen Lebens kultivierten Fähigkeit, mit den Mitmenschen, unabhängig vor sozialer Stellung, Bildungsstand, Alter, Geschlecht und Nationalität, natürlichen menschlichen Kontakt herzustellen und aufrecht zu erhalten. Besonders schlägt sein Herz für die Jugend. Hermann Stern ist seit über 50 Jahren Mitglied des nationalen Ausschusses der „Boy Scouts“, die ihn vor einiger Zeit mit der Verleihung des höchsten Ordens ehrten, ausdrücklich an junge Menschen wendet er sich auch in seiner kleinen Schrift, die er unter dem Titel „Good Rules to Archive Pride of Accomplishment" (Lebensmaximen, um stolz auf seine Leistungen sein zu können) etwa vor 2 Jahren herausgab. Darin gibt er die in fast 9 Jahrzehnten erworbenen „Maximen der Lebensweisheit" an junge Männer und Frauen weiter. In 17 Verhaltensregeln, in denen er die am Anfang ihres beruflichen Lebens Stehenden zu Toleranz, humaner Lebensführung und zum Respekt gegenüber den Mitmenschen ermahnt, fasst er seine Erfahrungen und Kenntnisse zusammen. Die 17. dieser Maxime umreißt Hermann Sterns eigenen Lebensstil am eindrucksvollsten. Sie lautet (ins Deutsche übersetzt):

„ XVII. Sei verständnisvoll, schätze die Lebensgewohnheiten und Anschauungen der Mitmenschen hoch ein. Sei mehr noch als tolerant, sei verständnisvoll. Wenn du mit Menschen umgehst, lerne sie zu schätzen und ihre Einstellung zu verstehen. Richte einen Menschen nicht wegen Rasse, Glauben und sozialer Stellung. Beurteile ihn nach dem, was er wirklich darstellt.“

An den Prinzipien der Humanität orientierte er sein Denken und Handeln; der eigene Erfolg war für ihn nie Selbstzweck; vielmehr entsprachen den Etappen seiner aufsteigenden Kariere die Erweiterung seiner öffentlichen Aufgaben und die Steigerung seiner Hilfsbereitschaft gegenüber Hilfsbedürftigen.

Hermann Stern ist der Gründer und war der 1 Vorsitzende der „Greater North Dakota Association“. Er leistete im wahrsten Sinn des Wortes Pionierarbeit für den Staat, der ihm seit über 6 Jahrzehnten Heimat ist. Er organisierte die erste Wintermesse in North Dakota Auf seine Initiative hin wurden in einer großen Sammelaktion die finanziellen Mittel für den Aufbau des Messegeländes in Valley City bereitgestellt. Entschieden setzte er sich für die Modernisierung der karitativen Einrichtungen seiner Stadt ein, besonders für das Krankenhaus und das Altersheim.

Während des 2. Weltkrieges war er in Auftrag der Regierung als Vorsitzender verschiedener staatlicher Organisationen tätig. Heute noch stellt er als Vorstandmitglied sein umfassendes berufliches Können in den Dienst des Verbandes der Herrenkonfektion in Amerika. Auf Grund seiner überragenden Qualifikationen wurde er in eine Kommission berufen, die die amerikanische Regierung m kommerziellen Angelegenheiten berät. Nebenbei sei vermerkt, dass er auch einer der Gründer des „North Dakota Auto Club" ist. Die große Zahl seiner Ver-dienste ist in dem schönen Beinamen „Mister North Dakota" zusammengefasst.

Zu keiner Zeit ließ Hermann Stern die Verbindung zu seinem Herkunftsland abreißen. Schon vor 1933 - vor und während der Weltwirtschaftskrise - ebnete er vielen seiner Verwandten und Freunden in Deutschland den Weg zu einer neuen Existenz in Amerika. In den Jahren der nationalsozialistischen Judenverfolgung ermöglichte er und seine Frau Adeline über 100 jüdischen Familien die Auswanderung nach den USA, indem sie bei der amerikanischen Einwanderungsbehörde die vorgeschriebenen Garantien übernahmen. Sie retteten auf diese Weise Hunderten von Menschen das Leben. Und sie halfen den oft mittelosen Ankömmlingen bei den schwierigen ersten Schritten in die neue Heimat.

Sein Neffe Gustave Stern nennt Hermann Stern einen wirklichen Humanisten. Hermann Stern selbst versteht sein humanes Handeln als die selbstverständliche Ausführung einer verpflichtenden religiösen Aufgabe. In einem Brief schreibt er „Die jüdische Religion betont immer und immer die Notwendigkeit zu helfen - ohne Unterschied von Religion, Rasse oder Partei.“ Und er fügt hinzu: „Würde die Menschheit nicht humaner sein, wenn wir alle tun würden, was wir predigen!"

Quelle: Inform. Informationsblatt der Gemeinde Oberbrechen 27.09.1974, S. 7: Geschichte der Oberbrechener Juden-Familien

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