Muttergotteskapelle

Die Kapelle der schmerzhaften Muttergottes oder Muttergotteskapelle am Roten Weg beim Friedhof wird von der hessischen Denkmaltopographie als älteste der Oberbrechener Kapellen auf 1668 datiert. Der „über dem Ort am Ende der Langen Straße markant gelegene Bau“ von quadratischem Grundriss verfügt über eine hohe, doppelt geschwungene Welsche Haube. Als Welsche Haube wird eine mehrfach geschweifte Turmbedachung bezeichnet, die in der klassischen Form aus einer glockenförmig geschweiften Haube, einem laternenartigen Zwischenstück darüber und einer abschließenden Zwiebelhaube besteht. Die Dachform wurde in der Renaissance vor allem in Süddeutschland und Österreich gebaut, erstmals bei den Türmen der Liebfrauenkirche in München. Die Vorhalle sowie die Putzrahmung stammen von 1863, ebenso auch die neue Statue der schmerzhaften Muttergottes.
Wie die meisten der Oberbrechener Kapellen hat auch sie ältere, nicht mehr existierende Vorläuferbauten. Dabei könnte es sich um einen um 1604 errichteten Heiligenstock „obig der obrissten pforthen“ handeln. 1720 wird sie als Kapelle „vor der oberpfort“ erwähnt sowie 1734 und 1761 als Kapelle „vorm Oberthor auf dem Haideberg“. Ausweislich der Überschrift über der Tür wurde sie von „Johannes Hoch Ana Maria sein ehlich Hausfrauw und Jakob Arthen sein ehlich Hausfrauw“ 1686 zur Ehre Gottes und der Muttergottes wieder aufgebaut. Auch ein Schlussstein, der bei späteren Renovierungsarbeiten wieder sichtbar wurde, weist auf diese Jahreszahl hin.
Wohl von Anfang an war die Kapelle mit Stiftungskapital für vier jährliche Messen ausgestattet. Schon 1696 soll sie etwa 55 bis 56 Gulden Kapital besessen haben, und für 1903 713,78 Mark dokumentiert, Geld genug, um fällige Reparaturen damit bestreiten zu können. Daher ließ sich die Kirchengemeinde schon um 1760 vom Dekan und Kämmerer des Landkapitels die Erlaubnis geben, die jährlichen Opfergelder für die Pfarrkirche verwenden zu dürfen, wie die Chronik von Oberbrechen vermerkt. Rechnungen der Kapellenmeister sind seit 1734 erhalten.
Bittprozession und Maiandacht
1863 wurde die Kapelle umfassend erneuert. Dabei entstand auch die Vorhalle. In diesem Jahr wurde eine neue Statue der schmerzhaften Muttergottes aufgestellt, die von einem Münchener Künstler geschaffen und zusammen mit dem Kreuzweg in der Kirche eingesegnet worden war. Sie ersetzte die bis dahin dort stehende „Weyerer Pieta“, eine Holzfigur aus den 15. Jahrhundert, die bei dieser Gelegenheit den Aufzeichnungen Pfarrer Brinkmanns zufolge versteigert wurde. Sie habe einen Ehrenplatz in einem hiesigen Bauernhaus bekommen und sei bei den Fronleichnamsprozessionen am Prozessionsweg aufgestellt worden.
Diese Pieta stammte wohl aus Weyer und wurde in der Reformationszeit in das katholische Oberbrechen gebracht. Das Luthertum, das um 1551 in Weyer eingeführt wurde, war nicht bilderfeindlich. Als ab 1588 die Grafen von Runkel den Calvinismus mit seiner Bilderfeindlichkeit durchsetzten, sei die Madonna wohl in Sicherheit gebracht worden und habe ihren Platz in der Kapelle am Heideberg gefunden, vermutete Pfarrer Brinkmann. Vielleicht könnte die Kapelle deshalb bald nach der Errichtung des ursprünglichen Heiligenstocks erbaut worden sein, spekulierte er in seiner Beschreibung der Oberbrechener Kapellen.
Seit jeher spielten die Kapellen eine wichtige Rolle im religiösen Leben der Gemeinde. Schon zur Zeit des Baus der Marienkapelle führte an einem Tag in der Bittwoche die Flurprozession dorthin, wo das Evangelium verkündet und der Flursegen erteilt wurde. Nach dem Ende der Bittprozessionen zogen die Gläubigen von dort an einem Tag in der Bittwoche nach einem Gebet singend und betend zum Bittamt in die Pfarrkirche. Am Palmsonntag wurden hier die Palmen geweiht, ehe die Palmprozession zum Hochamt hinunter zur Kirche führte. Im Marienmonat Mai wurde einmal Maiandacht gefeiert. Um 1800/1810 war der Altar der Kapelle der erste Altar der Fronleichnamsprozession. Auf dem „Gäßchen“ zog die Prozession weiter den Herrenberg hinunter zum zweiten Altar in der Eichkapelle und von dort durch das Tal zum dritten Altar an der Schultheißenkapelle in der Dorfmitte. Der vierte Altar war am Beinhaus auf dem Kirchhof bei der Pfarrkirche.
Den Kriegsopfern zum Gedenken
Renovierungen der Kapelle der schmerzhaften Muttergottes, die seit 1952 auch Kriegsopfer-Gedächtniskapelle ist, vermerkt die Pfarrchronik für das Frühjahr 1952 und Oktober 1971. Erstere kostet rund 750 Mark und wurde durch Spenden finanziert. 20 Jahre später renovierte die Firma Lahnbau unentgeltlich innen und außen, wie sie es auch 1978 noch einmal tat. Der morsche Holzaufbau des Altars wurde neu aufgebaut. Josef Geis restaurierte die Pieta, die auf einem einfachen Sockel auf den Altar gestellt wurde.
Viele freiwillige Helfer beteiligten sich im Sommer 1989 an der erneuten Renovierung der Muttergotteskapelle. In Zusammenarbeit mit dem Diözesanbauamt und dessen Restaurator Gramberg wurde versucht, die ursprüngliche Farbgebung nach noch vorgefundenen Farbresten wiederherzustellen. Restaurator Gramberg erneuerte auch die 1863 angeschaffte Pieta. In der Kapelle wurden, in Erfüllung eines langgehegten Wunsches aus der Gemeinde, neben denen den Tafeln mit den Namen der Gefallenen und Vermissten des ersten Weltkriegs zwei weitere zum Gedenken an die Opfer des zweiten Weltkriegs angebracht. Heute wird der Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft am neuen Ehrenmal auf dem Friedhof gedacht.
Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde die Kapelle am 17. September 1989 wieder eingeweiht. In seiner Predigt gab Pfarrer Alfons Schmidt der Hoffnung Ausdruck, die Kapelle werde wieder zu einer Stätte des Gedenkens, der Besinnung und des Gebets. In seinen Dank an alle, die zum Gelingen des Werks beitrug, schloss er besonders Elisabeth Götz ein, die die Kapelle über 50 Jahre betreute, bis sie ihr Amt aus Altersgründen Heinz und Liselotte Schönbach übergab.
Bis heute werden die Kapellen von ehrenamtlichen Helfern betreut. Um die Antoniuskapelle kümmert sich derzeit Jürgen Scherer, nach Renate Gröül und Eva Schönbach, um die Eichkapelle Magda Sabel, nach Maria und Richard Schorr, um die Herz-Jesu-Kapelle Hildegard Roth, nach Reinhold Maibach, um die Johanneskapelle Magda Sabel, um die Kapelle der schmerzhaften Muttergottes Werner Hanke und um die in Familienbesitz befindliche Schultheißenkapelle Ursula Arthen.

(Text und Bilder aus: Ursula Königstein: „Sollen alle Knie sich beugen“, S. 16-19)

Siehe auch: Ein Kranz von Kapellen um und in Oberbrechen

Quelle: Ursula Königstein: Sollen alle Knie sich beugen. Kapellen, Bildstöcke und Kreuze als Zeichen christlichen Glaubens in der Gemeinde Brechen. Hrsg. Von der Gemeinde Brechen / Gemeindearchiv 2021, 80 S.)

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