Gemeinsame Teilnahme der Mandolinenorchester „Wanderlust“ Niederbrechen und „Rebio“ Werschau am Volkssender-Wettbewerb 1936 in Berlin

1936 gibt es sowohl in Werschau wie auch in Niederbrechen einen Mandolinenverein:
- den am 01.01.1923 gegründeten Mandolinenclub „Rebio“ Werschau und
- den am 05.02.1925 gegründeten Mandolinenklub „Wanderlust“ Niederbrechenunter Leitung von Isidor Dillmann.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Spieler beider Orchester (zumindest in den 1930er Jahren) gegenseitig unterstützen, d.h. bei Auftritten des jeweiligen Orchesters mit ihrem Instrument mitspielen bzw. Spieler beider Orchester gemeinsam auftreten.

Am 27.06.1936 fahren die Spieler der beiden Orchester unter Leitung von Isidor Dillmann, dem Dirigenten der Wanderlust, als Vertreter des Kreises Limburg gemeinsam zu einem "Volkssender-Konzert" des "Reichssender Frankfurt" nach Marburg. Es handelt sich dabei um den "Gauentscheid des Gaues Hessen-Nassau" für den Volkslieder-Wettbewerb anlässlich der Funkausstellung in Berlin. Genau einen Monat später erfolgt die Aufforderung zur Teilnahme am Volkslieder-Konzert auf der Berliner Rundfunkausstellung (28.08. bis 06.09.1936). Beide Orchester bilden nunmehr eine Interessengemeinschaft unter dem Namen "Mandolinenorchester Niederbrechen-Werschau".

Im handschriftlich geschriebenen und heute noch vorhandenen Protokollbuch des Mandolinenclubs Wanderlust Niederbrechen ist hierüber zu lesen

Auf zum Volkssender 1936.
Unter dieser Parole fuhr der Mandolinenclub Wanderlust mit dem Man. Club „Rebio“ Werschau am 27. Juni 1936 zum Gauentscheid des Gaues Hessen-Nassau nach Marburg, als Vertreter des Kreises Limburg. Mit einem Omnibus der N.S. Gem „Kraft durch Freude“ fuhren wir um ¾ 2 nachmittags von unserem Clublokal ab. Über Limburg, Weilburg, Wetzlar gelangten wir kurz vor 4 Uhr nach Gießen, wo wir unsre Fahrt bei einem ehemaligen Niederbrecher, bei Gastwirt Robert Zöller, unterbrachen. Von der langen Fahrt durch die Nachmittagssonne waren unsere Kehlen durstig geworden. Nach kurzem Aufenthalt fuhren wir weiter nach Marburg und trafen dort gegen 5 Uhr ein. Sofort begaben wir uns zu den „Stadtsäalen“, wo wir noch rechtzeitig zur Generalprobe eintrafen. Nach einer kurzen Rundfunkprobe stärkten wir uns in einer nahegelegenen Gastwirtschaft. Anschließend besuchten wir das auf einem Berge, mitten in Marburg gelegene Schloss und die bekannte Elisabethenkirche. Um 8.10 Uhr abends begannen die Übertragungen des Volkssender-Konzert durch den Reichssender Frankfurt.
Wegen der kurzen Übertragungszeit durfte von jedem Teilnehmer nur ein Stück gespielt werden. Wir spielten im zweiten Teil des Abends und brachten das Stück „Volksliedchen und Märchen“ von Komzak unter starkem Beifall zu Gehör. Unsere Leistung können wir als einen Erfolg in der Geschichte des Man. Clubs Wanderlust verbuchen.
Nach dem Konzert verbrachten wir noch eine Stunde bei einem Unterhaltungs-Konzert, in den im Keller der Stadtsäalen gelegene Restaurationsräumen.
Kurz nach 11 Uhr traten wir mit dem Omnibus unsere Heimreise an. Auf dem selben Wege wie auf der Hinfahrt nur mit einer Unterbrechung in Gießen bei Robert Zöller, gelangten wir nach unserem Heimatort zurück. Auf dem letzten Teil der Heimreise waren wir alle so ermüdet, dass nach und nach alle in tiefen Schlaf versanken. Um 3.00 Uhr morgens, es fing schon an zu dämmern, landeten wir wohlbehalten an unserem Clublokal und verbrachten, trotz des angebrochenen Morgens, noch einige gemütliche Stunden.
An dem Spiel im Volkssender Marburg nahmen teil:
1. Mandoline: Ernst Schmitt, Karl Schneider, Hans Merz, August Cron (Werschau)
2. Mandoline: Josef Dillmann, Willi Geis, Alois Staat (Werschau) Alois Höhler (Werschau)
Mandola: Jakob Schneider, Josef Klein (Werschau)
Cello: Willi Kremer, Adam Muth (Werschau)
Gitarre: Peter Eufinger, Franz Kremer, Josef Staat (Werschau)
Bass: Josef Schäfer
Dirigent: Isidor Dillmann

Am 27. Juli 1936 erhielt unser Dirigent I. Dillmann ein Schreiben vom Volkslieder-Wettbewerb Berlin, in welchem wir aufgefordert werden, bei einem Volkslieder-Konzerte auf der Rundfunkausstellung in Berlin vom 28. August bis 6. September teilzunehmen.
Es ist dies die höchste Ehre, welche uns zu teil geworden ist. Gemeinsam mit dem Man. Club „Rebio“ Werschau haben wir eine Interessengemeinschaft gebildet, unter dem Namen „Mandolinenorchester“ Niederbrechen-Werschau.
(Quelle: Mandolinenclub Wanderlust Niederbrechen – Protokollbuch, Protokoll Nr. 113 Mitwirkung beim Gauentscheid zum Volkssender 1936)

Zur Deckung der Reisekosten nach Berlin veranstalteten das Mandolinenorchester Niederbrechen-Werschau drei Konzerte im Vorfeld der Reise:

Am 09.08.1936 Im Saal des „Nassauer Hofes“ in Camberg, anschließend wird zum Tanz aufgespielt (Gesamteinnahmen 48 RM).

Am 16.08.1936 im Saal Urban in Werschau, diesmal mit einem Solisten, Hans Hau aus Frankfurt-Höchst, der mit seiner selbstgebauten Waldzither zu Gefallen weiß; Programm und Besetzung ist die gleiche wie beim Konzert in Camberg (Gesamteinahmen 40 RM).

Am 23.08.1936 in der Turnhalle in Niederbrechen als Generalprobe für den Auftritt in Berlin; nahezu 300 Konzertbesucher werden gezählt (Gesamteinnahmen 114 RM). Auch hier treten Hans Hau mit der Waldzither sowie Herr Besold aus Niederselters mit der Zither als Solisten auf. Im Protokollbuch des Mandolinenclubs Niederbrechen ist über dieses Konzert zu lesen:

Am 23. Aug. 1936 veranstaltete das Mandolinenorchester Niederbrechen-Werschau in der Turnhalle sein drittes Konzert, welches gleichzeitig als Generalprobe für Berlin gedacht war. Der Besuch der Veranstaltung war mit nahezu 300 Besuchern weit über Erwartung gut. Als Solisten waren Herr Besold Niederselters, Zitter und Herr Hau Ffm Höchst, Waldzitter verpflichtet. Unser Vereinsführer Ernst Schmitt begrüßte zu Beginn des Konzertes alle Erschienenen, besonders unsere beiden Solisten, sowie verschieden geladene Gäste.
Nach dem Eröffnungsmarsch „Wien bleibt Wien“ von Schrammel spielten wir „Goldelfchens Hochzeitstag“ von Noack. Nun kamen unsere beiden Solisten zu Geltung. Zuerst Herr Hau auf seiner Waldzitter. Er spielte einen Walzer nach eigener Zusammenstellung. Unser Zittersolist Besold spielte ein Volksliederpotpourri aus seiner bayrischen Heimat. Mit den beiden Stücken „Münchner Kindl“ von Komzack und Paraphrase über „Ännchen von Tharau“ setzten wir unser Programm fort. Herr Hau spielte nochmal im ersten Teil, da er um 10 Uhr mit dem Zuge wegfahren würde. Das „Heitere Intermezzo“ von Krebs beschloss den ersten Teil des Konzertes.
Vor Beginn der Pause ergriff Herr Dernbach aus Lindenholzhausen das Wort und betonte, das die Leistungen des Mandolinenorchesters heute auf einer sehr hohen Stufe stehen, was durch die Berufung zum Volkssender Berlin beweist. Er bat die Spieler treu in dem Sinne wie bisher weiter zu üben und die deutsche Volksmusik zu pflegen, was nicht zuletzt ein Verdienst unseres Dirigenten Herrn Isidor Dillmann sei.
Den zweiten Teil eröffneten wir mir der Ouvertüre zur Oper „Die Nürnberger Puppe“ von Adam und „Aschenbrödels Brautfahrt“ von Kicker. Herr Besold brachte nun zwei Zithersoli zu Gehör. Anschließend spielten wir „Freut euch des Lebens“ von Schauer oder ein Wanderbursche erzählt, ein Volksliederpotpourri welches wir zum ersten Male aufführten.
„Volksliedchen und Märchen“ von Komzack und „Unter der Dorflinde“ von Ritter brachten den Abschluss unserer Programmfolge. Durch den Beifall der Zuhörer sehen wir uns veranlasst noch eine Zugabe, den Marsch „Zum Städtel hinaus“ zu spielen.
Nach dem Konzerte kam auch das Tanzbein zur Geltung. Der Eintritt betrug 40 Pfg. Tanzen war frei. Der Erlös des Konzertes betrug 114 RM.
An dem Konzert beteiligten sich folgende Spieler:
1. Mandoline: Ernst Schmitt, August Cron, Karl Schneider, Hans Merz
2. Mandoline: Josef Dillmann, Willi Geis, Alois Staat
Mandola: Jakob Schneider, Josef Klein
Cello: Willi Kremer, Adam Muth
Gitarre: Peter Eufinger, Franz Kremer, Josef Staat
Bass: Josef Schäfer
Dirigent: Isidor Dillmann

(Quelle: Mandolinenclub Wanderlust Niederbrechen – Protokollbuch, Protokoll Nr. 116 von dem am 23. Aug. 36 in der Turnhalle zu Niederbrechen stattgefundenen Konzerte)

Vom 28.08. – 31.08.1936 erfolgt dann die Fahrt nach Berlin zum Volkssender-Wettbewerb in Berlin anlässlich der "13. Grossen Deutschen Rundfunk- und Fernseh-Rundfunk-Ausstellung Berlin 1936" (28. August - 6. September 1936). Während eines viertägigen kostenlosen Aufenthalts in Berlin werden verschiedene Sendungen des Orchesters aus dem Sendehaus und dem Funkgarten direkt übertragen.

Einige mitreisende Spieler des Mandolinenclub „Rebio“ Werschau“ besuchen auf dieser Reise auch ihr Vereinsmitglied Alois Höhler, der in Berlin als Kaufmann für Krankenhausbetten arbeitet.

Das Protokollbuch des Mandolinenclubs gibt sehr anschaulich und unmittelbar die Fahrt in die Weltstadt und die dortigen Erlebnisse der Teilnehmer wieder:

Die Nachricht der Berufung des Mandolinen-Orchester Niederbrechen-Werschau zum Volkssender Berlin, war uns Spielern eine besondere Freude und bewirkte bei allen eine große Vorbereitung zur Fahrt.
Am Donnerstag, den 27. August 36 fuhren wir mit dem Zuge um 18.33 Uhr nach Frankfurt. Von dort benutzten wir den „Kraft durch Freude“ Sonderzug um 20.55 Uhr und kamen am Freitagmorgen kurz nach ½ 8 Uhr in Berlin am Anhalter Bahnhof an. Dort wurden wir von der K.d.F. Leitung empfangen und zum Standquartier der K.d.F. Fahrer im Weinhaus „Rheingold“ am Potsdamer Platz geleitet, wo schon das Frühstück auf uns wartete. Hier erhielten wir unsere Quartierscheine, sowie die Einteilungen der Rundfunkproben. Nach dem Frühstück wurde sogleich unsere Wohnung im Hotel-Pension „Carlton“ bezogen. Mit unseren Zimmer hatten wir es ausgezeichnet getroffen. Zur Freude aller waren die Zimmer bald aufgeteilt in Haus „Niederbrechen“, Haus „Werschau“, Haus „Brummbass“, „Villa Sorgenfrei“ und Jugendheim. Das Mittag- und Abendessen wurde gemeinsam im Weinhaus „Rheingold“ eingenommen, wozu jeder drei Gutscheine erhalten hatte. Nach dem Mittagessen besuchten wir die Sehenswürdigkeiten im Berliner Stadtzentrum. Die Siegesallee mit den 32 Denkmälern, Siegessäule mit einem großartigen Ausblick über Berlin, Reichstag in dessen Innern noch der abgebrannte Reichtagsaal zu sehen war, sowie das Brandenburger Tor, Hedwigskathedrale, Ehrenmal, Zeughaus Dom und Schloss. Unser Mitspieler August Cron machte verschiedene Photoaufnahmen. Am Freitagabend bei der Rundfunkprobe, wurde uns mitgeteilt, dass wir ausser der festgesetzten Zeit am Sonntag von 16.30 - 17.30 Uhr ebenfalls am Sonntag von 12 - 14 Uhr in der Sendung „Es singt und klingt im Rhein - Mainischen Städtekranz“ mitwirken sollten.
Nach einer ruhevollen Nacht schliefen wir am Samstag morgen etwas länger, da uns die Hinfahrt recht ermüdet hatte. Nachmittags trennten wir uns in verschiedenen Gruppen. Einige fuhren nach der alten Garnisonsstadt Potsdam und besichtigten dort die Garnisonskirche, sowie das Schloss Sanssouci mit seinen schönen Anlagen. Andere machten Einkäufe und betrachteten sich den Trubel der Weltstadt. Wieder andere besuchten die Wilhemstrasse mit seinen Regierungsgebäuden.
Am Sonntag waren wir schon beizeiten auf den Beinen. Mussten wir doch bereits um 11 Uhr auf der Rundfunkausstellung am Kaiserdamm sein, weshalb wir unser Mittagessen um 10 Uhr einnahmen. Von 12 - 14 Uhr war die Sendung „Es singt und klingt im Rhein-Main-Städtekranz“ in welchem wir mitwirkten. Diese Sendung, welche im Pavillon des grossen Funkgartens neben dem Funkturm stattfand, wurde auf sieben deutsche Sender übertragen. Wir spielten „Unter der Dorflinde“ von Th. Ritter und „Volksliedchen und Märchen“ vom Komzack. Alle anderen Mitwirkenden waren aus bekannten Städten des Rhein-Main Gebietes. Nur Niederbrechen war ein unbekannter Fleck. Wie schlug uns allen das Herz als der Ansager die Frage stellte: Wo liegt Niederbrechen? Es ist das idyllischste Dorf im „Goldenen Grund“. Und als der Ansager noch bemerkte: „Wir haben das Gold gesucht und gefunden“, so war das etwas übertrieben, aber ein gewisser Stolz kam doch über uns. Nach der Sendung konnte unser tüchtiger Dirigent I. Dillmann viele Gratulationen entgegen nehmen.
Diese Sendung wurde auch nach der Fernseh-Sendehalle übertragen und gefilmt. Um ½ 5 Uhr mittags wirkten wir noch bei der Sendung „Rund um die Lahnberge“ mit. Dort spielten wir die Paraphrase über „Ännchen von Tharau“ v. Schauer. Nach der Sendung gab uns Sendeleiter Herb persönlich die Hand und beglückwünschte uns alle.
Unser beliebtes Stück „Volksliedchen und Märchen“ wurde nach der Mittagssendung auf Schallplatte aufgenommen. Die Ansage dazu machte unser Mitspieler August Cron. Es war uns allen eine große Freude, wie wir bereits 2 Min. nach der Aufnahme uns selbst hörten. Die Platten konnten wir zum Teil sofort mitnehmen und sie werden uns ein schönes Andenken sein. Nach der Aufnahme besuchten wir die Rundfunkausstellung in den einzelnen Hallen. Besonders das Fernsehen interessierte uns. Am Sonntag Abend war unser Aufenthalt in Berlin beendet. Um 21.55 Uhr fuhren wir vom Potsdamer Bahnhof ab und waren am Montag morgen um 8.48 Uhr in Frankfurt. Von Frankfurt fuhren wir um 10.10 Uhr zurück nach unserem Heimatorte Niederbrechen. Mit Freude und Stolz können wir an dieses Erlebnis zurückdenken, denn es war der bis jetzt größte Erfolg, den wir errungen haben.
An der Fahrt nach dem Volkssender Berlin nahmen teil:
1. Mandoline: Ernst Schmitt, August Cron, Karl Schneider, Hans Merz
2. Mandoline: Josef Dillmann, Willi Geis, Alois Staat, Alois Höhler
Mandola:  Jakob Schneider, Josef Klein
Cello: Willi Kremer, Adam Muth
Gitarre: Peter Eufinger, Franz Kremer, Josef Staat
Bass: Josef Schäfer
Dirigent: Isidor Dillmann
(Quelle: Mandolinenclub Wanderlust Niederbrechen – Protokollbuch,Protokoll Nr. 117 Über die Mitwirkung am Volkssender 1936 in Berlin)

Am 06.09.1936, also nach Rückkehr der sehr erfolgreichen Fahrt nach Berlin, veranstaltet das Mandolinenorchester Niederbrechen-Werschau im Saal Durre (?) in Villmar ein weiteres Konzert zur Deckung der Reisekosten (Einnahmen: 35,20 RM).

Zu der Berlinreise 1936 gibt es folgende, mündlich überlieferte Anekdote:

Vor dem Spielen wurden zur Ansage verschiedene Angaben über den Verein erfragt. So auch der Name des Dirigenten - Isidor Dillmann. Der Rundfunkmann erschrak bei Nennung des Namens. Er meinte, dass sei ein jüdischer Name und der könnte nicht angesagt werden. Bei der Übertragung hieß es dann: „Der Mandolinenclub Wanderlust Niederbrechen spielt unter der Leitung von Jakob Dillmann“. (Quelle: Inform 29.10.1992).

 

Quellen und Dankeschön

Protokollbuch des Mandolinenclubs „Wanderlust“ Niederbrechen (Herzlichen Dank für die Bereitstellung durch den Verein und ebenso herzlichen Dank an Manfred Langer für die Übertragung der Protokolle aus dem handschriftlichen Protokollbuch)

Die Bilder hat Christa Rathgeber bereitgestellt – auch dafür herzlichen Dank.

Verfasser: Arbeitskreis Historisches Brechen, 24.07.2023, -UJ/GB-

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